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XXVII. Internationales Kolloquium des ‘SGdS’:

Sprachtheorie und Sprachkultur — in Geschichte und Gegenwart

Olomouc (CZ), 21. – 23. Juli 2016

Veranstalter: SGdS & Universität Olomouc (CZ)
Organisation: Karsten Rinas & Angelika Rüter

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Jana Adamusová & Karsten Rinas (Olomouc; CZ)

Die Textgliederung in Christian Pudors Grammatik (1672)

In der Geschichte der deutschen Grammatik hat das 1672 erschienene Werk Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit und Zierlichkeit des Theologen Christian PUDOR nicht so viel Aufmerksamkeit gefunden wie etwa die Grammatiken von Christian GUEINTZ (1641), Justus Georg SCHOTTEL (1663), Johann BÖDIKER (1690) oder Kaspar von STIELER (1691). Dennoch ist dieses Werk in mancher Hinsicht bemerkenswert und progressiv. So konstatiert bereits JELLINEK (1913:186), dass PUDORs Werk “vom Buchstaben bis zur ‘gantzen vollkommenen Teutschen Rede’ aufsteigend als die erste deutsche Grammatik eine Satzlehre gibt”. Diese syntaktische Konzeption bildet auch die Grundlage von PUDORs Interpunktionslehre, welche somit offenbar die erste deutsche Interpunktionstheorie darstellt, die ein klares grammatisch-syntaktisches Fundament aufweist (vgl. RINAS 2014).

Dieser Beitrag ist einem weiteren eigentümlichen und progressiven Element der PUDORschen Grammatik gewidmet: dem Einsatz typographischer und formaler Mittel der Textgliederung. Es ist bekannt, dass die semiotischen Möglichkeiten zur Gliederung geschriebener Texte zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlicher Intensität genutzt wurden (RAIBLE 1991). PUDORs Grammatik ist gerade darin bemerkenswert, dass ihr ein innovatives komplexes, aber schwer zu handhabendes System zur Verdeutlichung der hierarchischen Textstrukturen, zugrunde liegt. Dieses System soll hier präsentiert und analysiert werden.

Literatur:

Jellinek, Max Hermann (1913) Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung. Bd. 1. Heidelberg.

Pudor, Christian (1672) Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit / und Zierlichkeit... Cölln an der Spree.

Raible, Wolfgang (1991) Die Semiotik der Textgestalt. Heidelberg.

Rinas, Karsten (2014) "Zeichensetzung und Syntax: Christian Pudors Interpunktionslehre (1672)". In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik 28/2014, Nr. 1-2, S. 3-14.


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Ana Agud (Salamanca; ES)

Sprachkultur und grammatikalische Ideologie in den gegenwärtigen Humanwissenschaften

Der Aufbruch eines neuen wissenschaftlichen Paradigmas zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Linguistik wirkte sich gleich auch auf andere Humanwissenschaften aus, weil der sprachwissenschaftliche Szientismus angeblich handfeste empirische Ergebnisse aufwies, die anderen hermeneutischen Wissenschaften den Weg zu zeigen schienen.

Die neue grammatikalische Ideologie bestand aber grösstenteils in einer Verfestigung alter Vorurteile und Denkkategorien und -gewohnheiten in Bezug auf Sprache. Neu war der Anspruch, die alte Sprachwissenschaft möglichst auf den Grad mathematischer Formalisierung zu bringen, die den Naturwissenschaften gerade deren Wissenschaftlichkeit verleiht.

Nachbarwissenschaften wie die Philologien, die Geschichte, die Sozialwissenschaften, die Psychologie, ja die Philosophie selber gerieten in eine von der Linguistik vorgezeichneten Bahn, die in der Forschung jede kritische Reflexion auf die eigenen Voraussetzungen und Grundbegriffe ausschliess und jede noch so beliebige neue Kategorie für gut genug hielt, sofern sie sich wie auch immer in formalisierte Ausdrücke eingliedern liess.

Die gegenwärtige rasante Sprachtechnologie hat den vorherigen Mangel an praktischer Nützlichkeit formaler Sprachspekulationen behoben und schon wieder die Bahn gezeigt für Disziplinen wie die angewandte Psychologie, in welcher Kognition und Emotion zunehmend für den Zweck, mehr und mehr Marktprodukte zu verkaufen, empirisch untersucht werden.

Demgegenüber sollte die historische Selbstreflexion der Linguistik sowohl die innere Entstehungslogik ihrer Grundbegriffe und Denkvoraussetzungen kritisch überprüfen als auch den Weg zu einer marktunabhängigen, gerade humanistischen Erforschung menschlicher Sprachlichkeit zurückfinden. Eine solche „Phänomenologie der Linguistik“ (im hegelschen Sinn, als innere Rekonstruktion des Werdegangs des linguistischen Szientismus und seiner möglichen Überholung) kann auch für die uns nachahmenden Nachbarwissenschaften wichtige Bahnkorrekturen vorschlagen. Dies gilt in erster Linie für Philosophie und Psychologie, aber auch ganz entschieden für die Philologie.


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Marie-Luise Bott (Berlin; BRD)

Slavistische Dialektforschung im oberschlesischen Grenzgebiet 1935-39: der Fall Reinhold Olesch

Das Krisenjahr für slavistische Sprachforschung im NS war 1937. Nicht nur die Erforschung der slavischen Minderheit der Sorben in Deutschland wurde dann aus politischen Gründen verboten und war nicht mehr mit staatlichen Mitteln finanzierbar (der Fall Paul Wirth 1937/38). Auch wer polnische Dialekte im deutsch-polnischen Grenzgebiet untersuchte, konnte nicht die von politischen Revisionisten und NS-Ideologen „erwünschten“ Ergebnisse erzielen. Hier kam es 1937/38 zu drastischen politischen Eingriffen in die universitäre Slavistik, die sich bis dahin noch autonom wähnen konnte. Dies zeigt der Fall von Reinhold Olesch (1910-1990).

In Zalenze (heute: Kattowitz) nahe St. Annaberg in Oberschlesien geboren, war Oleschs Muttersprache Polnisch. 1935 promovierte er bei Max Vasmer und Diedrich Westermann in Berlin und übernahm im November 1935 ein Lektorat für Polnisch an der Universität Greifswald. Seine Dissertation erschien 1937 sowohl in der Reihe des Instituts für Lautforschung („Die slavischen Dialekte Oberschlesiens“) wie auch der „Veröffentlichungen des Slavischen Instituts“ an der Universität Berlin („Beiträge zur oberschlesischen Dialektforschung. Die Mundart der Kobylorze. I. Deskriptive Phonetik“). Sie bezeuge, wie ein vom Bund deutscher Osten in Auftrag gegebenes Gutachten vom August 1937 beanstandet, daß „in keiner Landschaft Polens so gutes Polnisch gesprochen werde, wie in Oberschlesien“. Dies wurde als pro-polnische „politische Propaganda“ gewertet. Das Reichspropagandaministerium setzte die Arbeit im Februar 1938 auf die Liste „unerwünschten Schrifttums“ und ließ sie einziehen. Das Reichserziehungsministerium hatte schon im Januar 1938 zugestimmt: Auch wenn die Arbeit „wissenschaftlich gut“ sein möge, sei sie doch „politisch instinktlos angelegt und durchgeführt“. Im August 1938 kündigte der Kurator der Universität Greifswald Olesch zum 1. April 1939.

Mein Vortrag untersucht, in welchem Kontext es zu dem Gutachten über Oleschs Publikation 1937 kam, wie zu seiner Kündigung 1938 und weshalb sie 1939 doch zurückgezogen wurde. Gleichwohl wurde Olesch ab 1937 bis zu Kriegsbeginn 1939 keine Dienstreise mehr zu Dialektaufnahmen nach Polen bewilligt und auch nicht zur Teilnahme am III. internationalen Kongreß der phonetischen Wissenschaften im Juli 1938 in Gent. Im Mai 1938 hatte Westermann ihn noch als Referenten auf der Liste der deutschen Teilnehmer geführt.


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Jan David Braun (Wien; A)

Die Verräumlichung der Sprache: Sprachkartographie des 20. Jahrhunderts als Thema der Wissenschaftsgeschichte

Grundlage des Vortrages ist meine projektierte Dissertation, deren disziplinäre Ausrichtung primär wissenschaftshistorisch ist. Sie setzt sich mit der Dialektologie des 20. Jahrhunderts auseinander: Im Detail mit der Dialektologie an der außeruniversitären Forschungseinrichtung Wiener Wörterbuchkanzlei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften von 1913 bis 1965.

Allerdings geht es nicht um reine Institutionengeschichte, sondern um eine Aufarbeitung im Sinne interdisziplinärer Science Studies. Ausgehend von der Prämisse der historischen Bedingtheit und multiplen Kontextualität von Wissenschaft (als Kulturform), soll eine prinzipielle Historisierung dialektologischer Inhalte gemäß der historical epistemology, wie sie Hans-Jörg Rheinberger entwarf, betrieben werden. Dieser Ansatz, der sich bislang auf Naturwissenschaften bezog, wurde noch nicht auf den Untersuchungsgegenstand der deutschen Dialektologie angewendet.

Im Zentrum der projektierten Arbeit steht dabei die „Verräumlichung der Sprache“, der epistemische Zusammenhang von Raum und Sprache in der deutschen Dialektologie des 20. Jahrhunderts. Außerdem bezieht sich „Verräumlichung“ auf eine Neuerung innerhalb der Mundartforschung Ende des 19. Jahrhunderts: Auf die Sprachkartographie und Sprachgeographie nach Georg Wenker. Diese Praxen bestimmten bis weit ins 20. Jahrhundert (und bis zur Gegenwart) die Dialektologie, wobei sie oftmals mit politischen Raumkonzepten korrelierten.

Die Wiener Wörterbuchkanzlei nun, die mit der Bayerischen Wörterbuchkanzlei in München 1913 zeitgleich gegründet worden war, war primär darauf ausgelegt, bairische Mundarten in Österreich zu untersuchen, zu sammeln und in Wörterbüchern herauszugeben. Gleichzeitig war auch die sprachkartographische Expertise eine wichtige Ausrichtung der Kanzlei.

Die Sprachkartographie besitzt einen weiteren wichtigen Aspekt: eine Potenzierung von Semiotizität. Nicht nur wurde die Sprache in ihrer dialektalen Vielfalt erforscht, sondern diese Heterogenität wurde mithilfe einer weiteren Zeichenform, der Karte (eine Sonderform des Ikons), visualisiert. Demnach befindet sich in der ikonischen Zeichenform Dialektkarte die Diversität multipler semiotischer Systeme.

Im Vortrag soll das Plädoyer für eine umfassende wissenschaftsgeschichtliche Behandlung der Sprachkartographie ausgesprochen werden, die ein Desiderat sowohl für die Wissenschaftsgeschichte als auch für die Kartographiegeschichte darstellt.


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Paola Cotticelli-Kurras (Verona; I)

Die Zuordnung der Relativsätze zwischen Haupt- und Nebensatz

Untersucht man die begriffliche Entwicklung der Satzsyntax und die Terminologie ihrer Bestandteile (Cotticelli Kurras 2004), stellt man fest, dass es im XIX. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum wohl unterschiedliche Meinungen in Bezug auf die Zuordnung der Relativsätze geäußert hat. Wir begegnen drei Autoren in der ersten Hälfte des XIX. Jh., die eine Sonderstellung in der Diskussion bezüglich der Einteilung der Haupt- und Nebensätze belegen und unabhängig voneinander gewirkt haben, nämlich Thiersch, Ramshorn und Grotefend. Ein gemeinsamer Zug unter ihnen ist, dass sie die Relativsätze als koordinierte Sätze einordnen. Thiersch (1826) schlägt eine syntaktische Einteilung der Sätze in Haupt- und Nebensätze nach seiner speziellen Terminologie der Syntaxis vs. Parataxis vor, wobei die Relativsätze als „nebengeordnete Sätze“ erklärt werden (Sandmann 1970: 169f.). Er verwendet den Terminus „beigeordnet“ nicht, obwohl er sowohl von Ramshorn (1821) als auch von Herling (1819) und Heinsius (1819-1821) schon eingeführt wurde. Ramshorn, der eine funktionale Parallele zwischen koordinierten Sätzen und der syntaxis convenientae, d.h. der Kongruenz, einerseits, und andererseits, untergeordneten Sätzen und der syntaxis rectionis, d.h. der Rektion, zieht, bemerkt, dass die Relativsätze nicht „subordiniert“ sind, und fügt hinzu, dass das (lateinische) Relativum „Qui“ sowohl eine koordinierende als auch eine nebenordnende Anreihung zur Funktion haben kann. Grotefend (1827), der sich argumentativ an Herlings Linie orientiert, sagt, dass die Relativsätze als ausführliche Appositionen gelten können und die Appositionen als „verkürzte Relativsätze“ interpretiert werden können. Relativsätze werden außerdem, anders als die „Nebensätze“, nicht durch unterordnende Konjunktionen eingeleitet. Schließlich bietet Schulz (1825) eine Einteilung der Sätze in „Haupt-, Zwischen und Nebensätze“, wobei die Relativsätze als „Zwischensätze“ eingestuft werden.

Ziel dieser Studie ist die Erklärung der wohl begründeten Positionen der o.g. Gelehrten unter Berücksichtigung sowohl einiger theoretischer Definitionen von Relativsatz (Hale 1976, Lehmann 1984, Lühr 2000) als auch der Grammatikalisierungsprozesse in der historischen Entstehung der Relativsätze (Kurzová 1981), z.B. in der homerisch-griechischen Sprache (Meier-Brügger 2010). Es ist nämlich kein Zufall, dass einige Erklärungen der Einordnung der Relativsätze als parataktische Sätze in einer Grammatik der griechischen (und der lateinischen) Sprache zu finden ist.

Literatur:

Cotticelli Kurras, Paola (2004): “L’influsso delle grammatiche del latino e del greco sulla formazione del concetto di frase dipendente tra Settecento e Ottocento in Germania”, in G. Graffi (ed.), Fortuna e vicissitudini di concetti grammaticali, Verona, 22 novembre 2002, Padova, Unipress, 97-151.

Grotefend, August, 1827. Grundzüge einer neuen Satztheorie, in Beziehung auf die Theorie des Herrn Prof. Herling, dargestellt von Aug. Grotefend, Conrector zu Ilfeld und Mitgliede des frankfurtischen Gelehrtenvereins für deutsche Sprache. Hannover.

Heinsius, Theodor, 1819-21 Teut oder theoretisch-praktisches Lehrbuch der gesamten deutschen Sprachwissenschaft (1835, 5. edizione). 2 vll. Berlin.

Herling, Simon Heinrich Adolf, 1821. „Über die Topik der deutschen Sprache“, in Abhandlungen des frankfurtischen Gelehrtenvereins für deutsche Sprache, 3. Stück. Frankfurt.

Kurzová, Helena, 1981, Der Relativsatz in den indoeuropäischen Sprachen. Buske, Hamburg.

Lehman, Christian, 1984, Der Relativsatz. Typologie seiner Struktur, Theorie seiner Funktionen, Kompendium seiner Grammatik. Narr, Tübingen.

Meier-Brügger, Michael, 2010, Indogermanische Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin–New York.

Sandmann, Manfred (1970): „Zur Frühgeschichte des Terminus der syntaktischen Beiordnung“, in Archiv für das Studium der Sprache und Literaturen 206, 161-188.


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Thorsten Fögen (Durham; UK & Berlin; BRD)

Cassiodorus on the role of language and culture in divine and secular learning

Late antiquity, roughly defined as the time from the third until the sixth century A.D., is extremely rich in documents that exhibit an impressive array of reflexions on language and culture. The best known and perhaps most influential figures within this period are Jerome (c. 347-419), Augustine (354-430), Boethius (c. 480-524), Cassiodorus (c. 485-c. 580), and Isidore of Seville (c. 560-636). In this paper, I concentrate on the statesman and scholar Cassiodorus and his ideas on language and culture in divine and secular learning, as expressed in his Institutiones, a work probably completed and published around A.D. 562. After a succinct overview of Cassiodorus' life, I sketch the more general character of his Institutiones, including the agenda and target audience of this work. Special attention is dedicated to the programmatic prefaces to each book. In two further sections, I then examine what Books 1 and 2 have to say on aspects of language and culture in the context of divine and secular learning.


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Michael Frotscher (Verona; I)

Zur Definition der Begriffe ‘Partizip’ und ‘Verbaladjektiv’ — Geschichte der Termini und Versuch einer Neubestimmung

Moderne linguistische Beschreibungen verwenden für eine zwischen Nomen und Verb stehende Wortartkategorie zum Teil unterschiedslos die zwei Begriffe Partizip und Verbaldjektiv.(^1) Bis heute fehlt eine klare Definition der beiden Begriffe, was eine gegenseitige Abrenzung dieser beiden Termini voneinander bislang verhindert und ihre Anwendbarkeit in der sprachbeschreibenden Praxis durchaus eingeschränkt hat.

In diesem Beitrag soll versucht werden, unter Beibehaltung der schon bestehenden Terminologie – das heißt ohne Aufgabe einer der beiden Begriffe – eine Definition des Partizips zu erarbeiten, die sich von der des Verbaladjektivs eindeutig abgrenzt, und anschließend die Praktikabilität dieser Definition anhand einiger Arbeitshypothesen bezüglich des verbalen vs. nominalen Charakters dieser Bildungen zu überprüfen.

Grundsätzlich lassen sich alle Wortarten, so auch die des Partizips und Verbaladjektivs, anhand dreier grammatischer Dimensionen beschreiben, und zwar (1) der morphologischen Dimension, wobei zwischen derivationsmorphologischen Eigenschaften der Stammbildung und flexionsmorphologischen Eigenschaften (nominale vs. verbale Endungen) zu unterscheiden ist, sowie (2) der syntaktischen Dimension (Alignment, d.h. u.a. nominale vs. verbale Rektion; Wort- vs. Satznegation usw.; syntaktische Verwendung im Satz: attributive vs. konjunkte/adverbiale Verwendung) und (3) der semantischen Dimension (temporale Relation und aspektuelle Eigenschaften in Bezug auf das finite Prädikat des Satzes, Modalität, Orientierung / Diathese usw.)

Als alleiniges Definitionskriterium sollen die derivationsmorphologischen Eigenschaften der Bildungen dienen, wobei das Partizip als eine deverbale Bildung gilt, die von einem bestehenden Verbalstamm abgeleitet ist, während das Verbaladjektiv deradikal, also direkt aus Wurzel gebildet ist. Dabei soll das Hauptaugenmerk auf den (alt-)indogermanischen Sprachen liegen, bei denen ein kategorieller formaler Unterschied zwischen Derivation (Stammbildung) und Flexion (Endungssatz) besteht. Dementsprechend würde es sich bei einer Bildung wie altindisch bhár-a-nt- ʻtragendʼ um ein eigentliches Partizip (gebildet zum Verbalstamm bhár a- ʻtragenʼ) handeln, während die Bildung bhr̥-tá- ʻgetragenʼ (gebildet direkt zur Wurzel bh(a)r-) als Verbaladjektiv zu gelten hat. In mehreren Einzelsprachen ist das to-Verbaladjektiv aber in das Verbalsystem integriert worden und stellt somit synchron-einzelsprachlich ein Partizip dar; vgl. etwa lateinisch am-ā-tu-s ʻgeliebtʼ (gebildet zum Verbalstamm am-ā-re ʻliebenʼ).

Dieser Beitrag möchte anhand dieser derivationsmorphologischen Definition zwei Aspekte aufgreifen: Zum einen soll aufgezeigt werden, wann in der Geschichte der Sprachwissenschaft dieses derivationsmorphologische Kriterium zum ersten Mal auftauchte und inwieweit es sich in den verschiedenen Epochen und innerhalb verschiedener wissenschaftlicher Paradigmen (explizit oder implizit) erhalten hat oder neu aufgenommen wurde.(^2) Hierbei soll auch ermittelt werden, an welche Grenzen ältere Definitionen des Partizips bzw. Verbaladjektivs stoßen, die nicht derivationsmorphologisch begründet sind.

Der zweite Aspekt ist praktischer Natur und betrifft das Erklärungspotential der derivationsmorphologischen Definition bei der konkreten grammatischen Beschreibung, wobei die These zu prüfen sein wird, ob die in das Verbalsystem integrierten Partizipien im Gegensatz zu Verbaladjektiven eine stärkere Neigung in Richtung des verbalen Bereichs zeigen und bezüglich ihrer semantischen Eigenschaften stärker festgelegt sind als Verbaladjektive.(^3) Es ist also die Frage zu klären, wo in oben stehendem Schema das Partizip bzw. Verbaladjektiv bezüglich der semantischen und syntaktischen Eigenschaften zu verorten ist, nachdem beide in einem ersten Schritt allein auf Basis ihrer Morphologie definiert worden sind. Abstract / text

(^1) Hinzu kommt gerade in typologischen Werken noch der Begriff des Konverbs, der aber in diesem Beitrag nur am Rande behandelt werden soll.

(^2) Bemerkenswert ist, daß die Stoiker das Partizip, welches bereits bei den alexandrinischen Grammatikern (unter der Bezeichnung μετοχή) als eigene Wortart erscheint, dieses zwar als eigenständigen Redeteil abgelehnt und aufgrund seines deverbalen Charakters (ῥήματος παραγωγή ʻDerivation des Verbsʼ) mit dem Verbum zusammengefaßt haben, sie aber in ihrer Argumentation die hier benutzte derivationsmorphologische Definition zum ersten Mal verwenden. Zum Partizip bei den griechischen Grammatikern s. Swiggers/Wouters (2005) und Matthaios (1999: 420-430).

(^3) Vgl. etwa bezüglich der Orientierung / Diathese das altisländische Partizip nemande ʻnehmendʼ (festgelegt: nur subjektorientiert, d.h. aktivisch) vs. das i-Verbaladjektiv næmr ʻeifrig zu nehmenʼ (subjektorientiert / aktivisch) oder ʻannehmbar, angenehmʼ (objektorientiert / passivisch).

Literatur:

Matthaios, Stephanos. 1999. Untersuchungen zur Grammatik Aristarchs: Texte und Interpretation zur Wortartenlehre (Hypomnemata – Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben, Heft 126). Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht.

Swiggers, Pierre & Wouters, Alfons. 2005. On the Origins of the Participle as a Part of Speech. In: KIBBEE, Douglas A. (Hrsg.), History of Linguistics 2005. Selected Papers from the Tenth International Conference on the History of the Language Sciences (ICHOLS X), 1-5 September 2005, Urbana-Champaign, Illinois. Amsterdam – Philadelphia: John Benjamins, 50-66.


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Helmut Glück (Bamberg; BRD)

Die deutschen Grammatiken des Matthias Kramer (1640-1727)

Matthias Kramer (1640-1727) war im frühen 18. Jahrhundert der bekannteste deutsche Sprachmeister. Er wirkte in Heidelberg, Regensburg und (vor allem) Nürnberg. Bekannt wurde er durch seine umfangreiche Produktion von Lehr- und Wörterbüchern für eine ganze Reihe von Sprachen, darunter das Deutsche (als Fremdsprache). Außerdem war er als Übersetzer und Verfasser von pferdekundlichen, religiös-erbaulichen und didaktischen Fachbüchern bekannt. 1712 wurde er zum „Abwesenden Mitglied“ der Kgl. Preußischen Societät der Wissenschaften ernannt. Von ihm stammen umfangreiche Grammatiken des Deutschen, die allerdings nicht auf Deutsch verfasst sind, sondern auf Französisch (1687), Italienisch (1694) und Niederländisch (1716). Sie wurde posthum für den Gebrauch an den Gymnasien Böhmens durch den Jesuiten Andreas Freyberger ins Lateinische übersetzt (1733).

Der Vortrag wird Kramers sprachtheoretische Konzepte vorstellen, seine Grammatiken des Deutschen in den Diskussionszusammenhang der Jahre um 1700 einordnen und der Frage nachgehen, weshalb er in der Fachgeschichte der Germanistik bisher kaum wahrgenommen wurde.


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Albrecht Greule (Regensburg; BRD)

Vorüberlegungen zu einer Geschichte der Textkultivierung

Wer sich an eine Geschichte der Textkultivierung heranwagen will, muss zuvor eine Menge Fragen beantworten: Was versteht man unter „Textkultivierung“? Wie verhält sich Textkultivierung zu Sprachkultur und Sprachkultivierung? Welche Rolle spielen bei der Textkultivierung Textgrammatik und Textsemantik? Wann beginnt die deutsche Sprachkultivierung? Was ist bei einem Ansatz historischer Textkultivierung anders im Vergleich zu gegenwärtiger Textkultivierung? Lässt sich der moderne Begriff der Textkultivierung überhaupt auf die Sprachgeschichte übertragen? In welchen historischen Texten sind Anregungen, die als Textkultivierung verstanden werden können zu finden? Fallen auch Poetiken darunter? In einem halbstündigen Vortrag sind diese Fragen freilich nicht erschöpfend zu beantworten. Deshalb verfolgt der Vortrag in erster Linie das Ziel, vor dem Hintergrund eines relativ klar umrissenen Forschungsparadigmas zu sammeln, was zum Thema bereits vorhanden ist, Forschungslücken zu benennen und diese durch Anregungen zu Forschungsprojekten zu schließen.


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Bernhard Hurch (Graz; A)

Die deutschsprachige Baskologie im 19. Jahrhundert

Die deutschsprachige Baskologie war im 19. eindeutig umfangreicher und inhaltlich breiter gestreut als im folgenden 20. Jahrhundert. Der Vortrag wird einen weitgehend vollständigen Überblick dessen geben, was zwischen Humboldt und Schuchardt in diesem Feld entstand, sich aber vor allem mit den wissenschaftsimmanenten Voraussetzungen beschäftigen, unter den dies geschah. Forschungsfelder wie die Baskologie, in denen ein geringerer Grad an Institutionalisierung, wohl aber eine vergleichbare methodische Professionalisierung herrschte wie anderswo, lehnten sich einerseits an die großen Fächer wie die Romanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft an und öffneten sich andererseits stärker als diese Fächer dem Amateurtum und dem Dilettantismus (beides war primär nicht in negativer Bedeutung zu verstehen). Zwischen diesen Polen siedeln sich zahlreiche Initiativen, die sich mit unterschiedlichem Erfolg und unterschiedlichem Tiefgang neben der Ursprungs- und Verwandtschaftsdiskussion auch der Grammatikographie und Lexikographie widmen, was zu zahlreichen auch monographischen Veröffentlichungen führt, bis hin zum zeitweiligen Erscheinen einer eigenen Zeitschrift in Berlin (Euskara). Neben allgemeinen Themen stehen aber durchaus spezifische Probleme mit bemerkenswerter Nachhaltigkeit im Mittelpunkt des Interesses (etwa zu Transitivität und Agentivität von Verben).

Die autoritative Außensicht von Luis Michelena auf die (fremd-/deutschsprachige) Baskologie zeigt, daß diese zumindest in den hier zu behandelnden Anfangs- und Endpunkten durchaus Bedeutung auch für das Baskenland selbst hatte: "Pour nous, basques, Humboldt a représenté le premier contact réel de la tradition linguistique locale, qui avait alors atteint un haut sommet, avec la tradition scientifique occidentale: le deuxième, dont la continuité semble assurée, ne se produira qu'avec Hugo Schuchardt, cent ans après." (Michelena 1973: 124-125). Doch sollen gerade auch diese cent ans beleuchtet werden, weil sie eine Entwicklung abbilden, die die beiden Punkte in ihrer historischen Bedeutung besser verständlich macht.


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Michael Isermann (Heidelberg; BRD)

Orthographie, Kryptographie und ihre sprachtheoretische Relevanz

Der Vortrag vergleicht Orthographie und Kryptographie (genauer: die Substitutionschiffrierung) in ihrer Bedeutung für den Umgang mit Sprache in Renaissance und früher Neuzeit, für einander und für die linguistische Theoriebildung jener Zeit und der jüngeren Vergangenheit.

Auf den ersten Blick erscheinen Orthographie und Kryptographie gegenläufige Kulturtechniken zu sein: die eine dient der weitestgehenden Inklusion von Adressaten in der schriftlichen Kommunikation, die andere ihrer weitestgehenden Exklusion. Wie nahe beide beieinander liegen, zeigt ein Blick auf diejenigen Orthographiereformer der Renaissance, die sogenannte ,rationale‘ Schreibreform-Vorschläge vorlegen. Sie propagieren die perfekte numerische Angleichung und ein-eindeutige Zuordnung der Inventare von Lauten und Buchstaben, die selbst noch von ihre Gegnern als das ursprüngliche Prinzip der alphabetischen Schreibung anerkannt wird. Eben dasselbe Prinzip unterliegt der Idee der Substitutionschiffre: Wenn eine problemlose Dechiffrierung möglich sein soll, muss die Zuordnung von Klarschriftalphabet und Geheimschrift umkehrbar eindeutig sein. Aus einer sprachtheoretischen Perspektive betrachtet, scheint das beiden Techniken unterliegende Prinzip die Vorstellung von Sprache als ein Code zu favorisieren, mittels dessen Hilfe bereits vorliegende Inhalte (hier Laute bzw. Klarschriftbuchstaben) repräsentiert und von einem Sender zu einem Empfänger übermittelt werden können. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.


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Rolf Kemmler (Vila Real; PT)

The Emergence of Divergent Text Traditions of Manuel Álvares' De institvtione grammatica libri tres in Sixteenth Century Europe

The rapid global expansion since the recognition of the Society of Jesus by Pope Paul III in 1540 prompted the establishment of a considerable number of Jesuit schools, colleges and universities both in the old and in the new world. Initially in order to reply to the demand of manuals for teaching at the Jesuit Real Collegio das Artes (1542–1837) in Coimbra, in his letter dated 18 October 1564 the second Superior General Diego Laínez (1512–1565) ordered the Portuguese Jesuit Manuel Álvares (1526–1583) to hand over his materials on Latin grammar (Laínez 1917, VIII: 265).

While it is well known that the comprehensive result of these efforts, the author’s first edition of what may be called the 'ars maior' of De institvtione grammatica libri tres was published in Lisbon in September of 1572, the existence of the 1573 first edition of the pupil's manual (consequently classifiable as 'ars minor') could only be proven quite recently (Kemmler 2012, 2015).

In his historic paper on the history and editorial dimension of the Alvaresian grammar, the Italian Jesuit Emilio Springhetti (1913–1976) offers an informative, albeit quite incomplete, table on the «Editiones grammaticae alvaresianae» (Springhetti, Emilio 1961–1962: 304), counting a total of 530 editions in 22 countries during four centuries.

While a more realistic number of editions must remain the object of ongoing bibliographical research, recent studies and the access to hitherto unknown editions allow for a better understanding of the beginnings of Alvaresian grammar in 16th century Europe.

Considering that from 1572 to 1599 a little more than a hundred complete and partial editions of Álvares' grammar can be identified, the publication of no less than 50 complete 'artes maiores' and 'artes minores' of the De institvtione grammatica libri tres is of special significance for this grammar's history in Europe, as its textual constitution starts to evolve since the earliest non-Portuguese editions. In this sense, we plan to offer an exploratory outlook on some major aspects of how the grammars' national text traditions in 16th century Czech, French, German, Italian, Polish and Spanish editions offer changes in relation to the author's Latin-Portuguese editiones principes.

References:

Kemmler, Rolf (2012): «La participación personal del gramático Manuel Álvares en la difusión de los De institutione grammatica libri tres en España», in: Battaner Moro, Elena / Calvo Fernández, Vicente / Peña, Palma (eds.) (2012): Historiografía lingüística: líneas actuales de investigación, vol. II, Münster: Nodus Publikationen, pp. 512-524.

Laínez, Diego (1917, VIII): Lainii monumenta: epistolae et acta patris Jacobi Lainii, secundi praepositi generalis Societatis Jesu, ex autographis vel originalibus exemplis potissimum deprompta a patribus ejusdem societatis edita, tomus octavus (1564-1565), Matriti: Typis G. Lopez del Horno.

Springhetti, Emilio (1961–1962): «Storia e fortuna della Gramatica di Emmanuele Alvares, S. J», em: Humanitas 13-14, págs. 283-304.


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James McElvenny (Potsdam; BRD)

Linguistische Ästhetik um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert: Otto Jespersen und Charles Bally

Die moderne Linguistik versteht sich größtenteils als eine neutrale Wissenschaft, die fern von Fragen der Sprachwertung steht. Das war allerdings nicht immer so: das 19. Jahrhundert bietet eine Vielzahl an Versuchen, Sprachen nach ihrem vermeintlichen relativen Wert zu klassifizieren. Der dänische Linguist Otto Jespersen (1860–1943) stand am Ende dieser Tradition und läutete in seiner Theorie des „Progress in Language“ eine Wende ein. Statt die alten „synthetischen“ Sprachen der indogermanischen Familie – Sanskrit, Altgriechisch und Latein – an den ersten Platz zu stellen, pries Jespersen die neuen „analytischen“ Sprachen für ihre „Schlichtheit“ und „Effizienz“. Seine neue Einschätzung brachte die linguistische Ästhetik in Einklang mit verschiedenen Strömungen der Moderne: der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Auffassung der Sprache als „menschliche Einrichtung“, Entwicklungen in der mathematischen Logik, und der „Energetik“ des deutschen Chemikers Wilhelm Ostwald (1853–1932), einer monistischen Metaphysik. Der Anlaufpunkt dieser Strömungen war die internationale Plansprachenbewegung, an der Jespersen sich aktiv beteiligte.

Unter den von Jespersens Theorie hervorgerufenen Reaktionen ist auf jeden Fall die uns vertraute Ablehnung aller Wertungen, aber andere Reaktionen sind auch vorhanden. Am interessantesten ist wohl diejenige des Genfer Linguisten Charles Bally (1865–1947). Bally lehnte zwar allerlei Progress in der Sprache sowie Jespersens Kriterien der Schlichtheit und Effizienz ab, aber er führte einen Grundgedanken der Wertungen des vorigen Jahrhunderts weiter, nämlich dass Sprachen die mentalité ihrer Sprecher widerspiegeln. Die mentalité gibt sich aber nicht im Sprachsystem preis, sondern in seiner Anwendung, welche von Ballys stylistique (später énonciation genannt) untersucht wird. Die Überlegungen Ballys hängen mit den Anfängen des Strukturalismus eng zusammen.

In diesem Vortrag schildere ich Jespersens Theorie des „Progress in Language“, die Reaktion Ballys und den ideengeschichtlichen Hintergrund beider Auffassungen.


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Tommaso Pellin (Bergamo; I)

China’s linguistic policy: an overview of ten years of ‘Language Situation in China’

Language has always been one of the key problem of Chinese reformists and Chinese governments since the beginning of the twentieth century; in its earliest decades did the RPC complete the first phase of its linguistic policy, namely the process of language reform. By the 1980s, the scope of Chinese linguistic policy moved from the old “writing reform” (wenzi gaige 文字改革) to a wider “language-related work” (yuyan gongzuo 语言工作); the launch of the Language Law (Guojia tongyong yuyan wenzi fa 国家通用语言文字法), with the formal identification of Putonghua as “national common linguistic system” in 2001 can be deemed as the beginning of an official and modern language policy.

In 2006 the National Language Commission started the publication of the official report of the activity in the field of language policy and, in general, of the linguistic life of China and Chinese: Language Situation in China (Zhongguo yuyan shenghuo zhuangkuang baogao 中国语言生活状况报告. Among several publications by the National Language Commission, the issue of the Language Situation volumes is by far the most constant; moreover, the issue of each volume has always arisen much debate about some of the outcomes published therein.

The present contribution aims at spotting the main features of the volumes of the Language Situation; in particular, the tendencies of China’s linguistic policy and the language-related problems China has been facing in the last 10 years, as reported in the Language Situation reports will be highlighted. This overview will show, on the one hand, that China has been constantly striving to establish a standard language, as a vehicle for a standard culture and a standard self-image; on the other hand, she has permanently coped, with different degrees of openness at different times, with non-standard linguistic phenomena (for instance, borrowings, neologisms and Internet language), inasmuch as they have been reckoned a threat to China linguistic (and not only linguistic) identity


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Karsten Rinas (Olomouc; CZ)

Zur Geschichte der Absatz-Theorie

Obwohl der Absatz eine wichtige Einheit der schriftsprachlichen Kultur ist, findet er in der Linguistik nur wenig Beachtung. Dennoch gibt es interessante ältere und neuere Ansätze zu einer Absatz-Theorie, teils im deutschen Sprachraum, vor allem aber in anderen Sprachkulturen (etwa der englischen und der russischen). In diesem Beitrag sollen solche Ansätze vorgestellt und gewürdigt werden. Außerdem wird demonstriert, dass viele Beiträge zur Absatz-Theorie der traditionell-rhetorischen Konzeption der Periode nahe stehen, so dass es sich empfiehlt, diese beiden Konzeptionen im Zusammenhang zu betrachten.

Literatur:

Duncan, Mike (2007): Whatever Happened to the Paragraph? In: College English 69 (5), S. 470–95.

Meade, Richard A./ Geiger ellis, W. (1970): Paragraph Development in the Modern Age of Rhetoric. In: English Journal 59, S. 219–26.

Parkes, Malcolm B. (1993): Pause and Effect. An Introduction to the History of Punctuation in the West. Berkeley/Los Angeles: University of California Press.

Rinas, Karsten (2015) "Zum linguistischen Status des Absatzes". In: Aussiger Beiträge 9, S. 139-157.

Staab, Gregor (2009): Satzlehre im Rahmen der klassischen Rhetorik. In: FIX, Ulla/ Gardt, Andreas/ Knape, Joachim (Hgg.) Rhetorik und Stilistik. 2. Halbband. Berlin/New York: de Gruyter, 1498–1514.

Stein, Stephan (2003): Textgliederung. Berlin/New York: de Gruyter.


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Alfredo Rizza (Verona; I)

Ancient Hittite bilingual texts as witnesses of a culture about language

The ancient civilization of the Hittites, during the II mill. b.C. produced and archived a large number of documents on clay tablets using a cuneiform writing system. Among those documents we find quite a few translations from a number of languages: Akkadian, Sumerian, Hurrian, Hattic, Luvian (Rizza A., “Interferenza linguistica e culturale nelle traduzioni del Vicino Oriente: il caso dell’Anatolia preclassica ”, in Busetto L. (ed.), La traduzione come strumento di interazione culturale e linguistica, Milano 2008: 235–260). The translations are often provided together with the original text on the same tablet and the layout is designed in order to highlight the correspondences between source and target texts. This is apparently a sign of an intended choice with specific, even if obscure for us, aims and ends. The analysis of the texts themselves seems to suggest that the Hittites had some consciousness of a theory of translation, not only as a mean to make available contents of other cultures, but as a way to access, introduce and confront cultural themes coming from all over the Ancient Near East. The care at archiving texts in other languages, independent translations, and bilinguals is probably the sign of an intended cultural project about language.

This paper aims at showing the traces for the reconstruction of the idea of translation beyond the texts. There are aspects that show the will of the translator to attest his ability that may be placed within such a cultural project.

Even if we will not be able to describe an articulated project of “Sprachkultur” or “Sprachkultivierung” in the sense of Greule/Lebsanft (Hrsg., Europäische Sprachkultur und Sprachpflege. Tübingen 1998), we suggest that the Hittites tried to put into effect experiences and doctrines about the preservation of languages using the translation as a field where scholars could improve their skills and competence in language.


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Toon Van Hal (Leuven; B)

The Lord’s Prayer in Translation: Or the Circulation of Linguistic Knowledge in the Early Modern World

After Conrad Gesner (1516-1565) had brought together the Lord’s Prayer of ca. 20 languages in his 1555 Mithridates, this Biblical text remained the default text sample in collections of languages printed between the sixteenth and eighteenth century. This paper aims to show how a closer look at this particular body of underexplored sources can cast new light on key issues of the history of linguistics. After presenting an overview of both published and unpublished collections, it will examine

• to what extent they allow us to measure the expanding scope of the world’s languages known to Early Modern scholars and to assess the circulation of linguistic knowledge;

• how the status and scholarly objectives of the samples changed throughout time (from curiosa to specimina, see Fauvelle-Aymar 2002: 231);

• the growing importance attached to methodological issues when collecting linguistic samples (e.g. in glossing, reliability of the sources, rendering of original characters, etc.) as formulated by both contributors of such collections and criticizers of these endeavours.

References:

Duverdier, Gérald. 1975. “Über die Bedeutung unbedeutender Drucke: die ersten tamilischen Drucke zu Halle (1712-1713)”. Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 5.103–126.

Fauvelle-Aymar, François-Xavier. 2002. L’invention du Hottentot: histoire du regard occidental sur les Khoisan, XVe-XIXe siècle. Paris: Publications de la Sorbonne.

Swiggers, Pierre & Piet Desmet. 1996. “L’élaboration de la linguistique comparative. Comparaison et typologie des langues jusqu’au début du XIXe siècle.” Geschichte der Sprachtheorie. 5. Sprachtheorien der Neuzeit II: von der Grammaire de Port-Royal (1660) zur Konstitution moderner linguistischer Disziplinen, ed. by Peter Schmitter, 122–177. Tübingen: Narr.

Trabant, Jürgen. 2003. Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens. München: C. H. Beck Verlag.

Van Hal, Toon. 2015. “Friedrich Gedike on why and how to compare the world’s languages: A stepping stone between Gottfried Wilhelm Leibniz and Wilhelm von Humboldt?”. Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft 25.53–76.


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Frank Vonk (Arnhem; NL)

Historiographilosophie der Sprachforschung

Seit Jahrzehnten stellt sich in der Historiographie der Sprachforschung (die die empirische und theoretisch-philosophische Dimension zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht) die Frage, ob und in welcher Hinsicht die Sprachwissenschaftsgeschichtsschreibung einen wirklichen, lies: effektiven Beitrag zu Entwicklungen in der Sprachforschung (gehabt) hat und ob Sie nur wie die Eule der Minerva im Nachhinein zurückblickt und die Nachwelt über die erworbenen Erkenntnisse informiert oder auch noch, aus wissenschaftstheoretischer Sicht Neues bietet. Thema ist hier die Art und Weise, wie Sprachforschung, heute und früher, betrieben wird und wurde und ob sich aus historiographi-scher Sicht Näheres über diesen Wissenschaftszweig feststellen läßt und mitteilen könnte, auch als Reflektion auf bis auf heute bestehenden Ansichten zur Sprachforschungshistoriographie.

Für sämtliche Wissenschaften gilt eine sichere methodologische Grundlage, die als solche zum Beispiel die Bedeutung oder Relevanz der erworbenen Erkenntnisse sicherstellt (bis auf Weiteres, versteht sich). Das bedeutet, dass es gute Gründe gibt, um bestimmte Erkenntnisse mit der Nachwelt zu teilen und über mögliche, zur Verfügung stehende Medien kritisch und fundiert zu kommunizieren. Hier spielt nicht nur der individuelle Sprachforschungshistoriograph eine Rolle, sondern sind unterschiedliche (soziologische) Faktoren im Spiel, die die Ergebnisse der Sprachforschungshistoriographie mitteilenswert machen. Es geht hier also auch um ein Wertesystem, das der Sprachforschungshistoriograph mit berücksichtigt in seinen historiographischen Forschungsabsichten (Relevantes dazu findet man bereits in: Beiser 2011, Collingwood 1933 (2005), Hartmann et al. 2012, Iggers 1997, Jordan 2/2013, Law 2003, Leezenberg/De Vries 2001 or Tucker 2004).

Aber auch in unseren eigenen wissenschaftlichen und Fachzeitschriften findet man relevante Texte zur Grundlegung historiographischen Verfahrens, wenn auch weniger zur Sprachwissenschaftsforschungshistoriographie als solcher. Es kommt noch hinzu, dass die Historiographie der Sprachforschung als solche mehrere Wissenschaften (Disziplinen) umfasst, die Teil der Beobachtung und der methodologischen Begründung sind. Als solche ist sie aus interdisziplinärer Sicht eine wichtige Forschungsdimension (vgl. dazu u.a.: Jungert 20132, Repko et al 2012, Repko 20122). Ohne Historiographie, Psychologie, Linguistik, Soziologie, Philosophie oder die Naturwissenschaften und alle Ihre Subdisziplinen wäre die Sprachforschungshistoriographie kaum möglich. Die Frage ist dann, wie eine solche Sprachforschungshistoriographie auszusehen hat, welchen methodologischen, inhaltlichen und disziplinären Voraussetzungen sie „gehorcht“, zum Beispiel im Rahmen einer interdisziplinären Forschungsgruppe, die ein mehr oder weniger gemeinsam getragenes methodologisches Einverständnis und ein gemeinsames Wertesystem "anhängen".

In diesem Beitrag werde ich auf einige grundsätzliche Fragen und Voraussetzungen der Sprachforschungshistoriographie näher eingehen und den Kontext dieser Forschungsarbeit näher umreissen.


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Rundbrief Studienkreis Geschichte der Sprachwissenschaft (ISSN 0938-0361): 46/2016 – Tagungen des SGdS (Abstracts)
©2016 y Klaus D. Dutz Nachf., Münster — Design & Betreuung: Angelika Rüter, Münster

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